Core Practices
Im Juni 2025 hat eine Expertenkommission ein Gutachten mit 13 Empfehlungen zur Weiterentwicklung der bayerischen Lehrkräftebildung vorgelegt. Darin wird ganz zentral die Ausbildung von sogenannten "Core Practices" vorgeschlagen. Das sind fachübergreifende Stragegien/ Bündel von Techniken, die Lehrkräfte in ihrem Lehreralltag benötigen und die möglichst schon in der ersten Phase der Lehrerbildung (an der Universität) ausgebildet werden sollen. Damit soll es möglich sein, den Graben zwischen Theorie und Praxis, der in der Lehrerbildung existiert, zu überbrücken. Mehr Informationen dazu finden Sie hier: https://www.corepractices.education/
Mir ist beim Durchlesen bewusst geworden, dass ich in all meiner Zeit in der Lehrerbildung genau diese Ziel bereits verfolgt habe - ohne dass mir bewusst war, dass dies an anderer Stelle als Theorie formuliert worden ist. Daher möchte ich hier gerne meine Erfahrungen zur Vermittlung der Praktiken teilen und die Kernpraktiken vorstellen, die ich identifiziert und in Lehr-Lernszenarien vermittelt habe: Vielleicht können andere davon profitieren.

Methoden zur Vermittlung von Kernpraktiken
Verschiedene Methoden haben sich in meiner Erfahrung sehr bewährt, um Kernpratiken zu vermitteln- gerade, wenn es nicht die Möglichkeit gibt, das Handeln in echten Klassen zu erproben - wir können die Schulen schließlich nicht mit sich ausprobierenden Studierenden fluten. Bei Klick auf die Reiter erfahren Sie ein wenig mehr zu den verschiedenen Methoden.
Seit 2008 arbeite ich in meinen Seminaren in allen Phasen der Lehrerbildung mit Rollenspielen. Voraussetzungen dafür ist ein fehlerfreundliche, experimentierfreudige Umgebung, in der die Studierenden möglichst viel Autonomie und Selbststeuerung behalten.
Um zu trainieren, gut zu unterrichten, wurde Unterricht unter der Berücksichtigung von Kernpraktiken vorbereitet. Dieser Unterricht wurde in einer Simulation mit den restlichen Seminarteilnehmer:innen durchgeführt und, ggf. kurz unterbrochen für "Regieanweisungen", die Kernpraktiken des Unterricht durchführens berücksichtigten. Parallel wurde die Situation per Video aufgezeichnet. Im Anschluss an die Situation reflektierte die simulierende Lehrkraft ihre Befinden in der Situation. Im Anschluss wurde das Video angesehen und auf die Kernpraktiken hin analysiert (hard on the fact, but soft to the person).
Der Ablauf bei kritischen Situationen ist in der Regel: Ein:e Student:in kommt ins „Klassenzimmer“ und wird als Lehrkraft mit einer unbekannten Situation konfrontiert. Sie oder er reagiert spontan, dann stoppen wir und reflektieren vor dem Hintergrund der Theorie welche Strategie sie oder er angewendet hat. Im Anschluss werden noch weitere Reaktionen ausprobiert. Die weiteren Studierenden spielen die Klasse und reagieren spontan, am Ende wird mit allen die Beobachtungen reflektiert. Der Ablauf kann in diesem Video nachvollzogen werden:
Die Studierenden reflektieren sofort mündlich und ihre eigene Situation später mit dem Gibbs-Schema schriftlich. Die Kommentarte der Studierenden zeigen, dass sie auch dann sehr viel lernen, wenn sie nur beobachten und nicht die simulierende Lehrkraft sind.
Die Rollenspiele wurden in ihrer Qualität und Wirkung wesentlich verbessert, seit ich im Sommersemster 2025 den Verein „Impro macht Schule“ an Bord geholt habe. Christina Schmiedel und Karin Ertl haben mit den Studierenden im Rahmen eines Seminars zu Reaktion auf kritische Situationen im Schulalltag ein Improtraining durchgeführt. Die Studierenden waren im Anschluss fehlerfreundlicher und spontaner und es hat „Rollenspiellust“ geweckt. Ich bin mir sicher, dass so ein Training im ersten Semester extrem vorteilhaft wäre für alle Core Practices.
7 Kernpraktiken für die Unterrichtsvorbereitung und -durchführung
Vorbereiten
Maß nehmen
Auswählen
Strukturieren/ Aufbereiten
Unterrichten
Erklären
Erarbeiten
Anleiten
Nachbereiten
Feedback einholen

Diese Praktiken sind aus der (rhetorischen) Theorie und Empirie abgeleitet und im Buch "Rhetorik für Lehrerinnen und Lehrer" passend für eine fundierte Praxis aufbereitet. Sie wurden in über zwanzig universitären Seminaren (zum Teil mit tutorieller Betreuung) als Kernpraktiken gelehrt und gelernt, außderdem in acht Seminaren in den weiteren Phasen der Lehrerbildung (vor allem für das SBI, das Sächsiche Bidlungsinstitut als Fortbildung für Seminarlehrkräfte).
6 Kernpraktiken für Inklusion
Die Kernpraktiken für inklusives Lehrerhandeln wurden im Rahmen unserer Zusammenarbeit am Buch "Praxisleitfaden auffällige Schüler und Schülerinnen" von Uta Englisch entwickelt. Sie ist Lehrkraft, Schulpsychologin und Seminarlehrerin für Psychologie am Gymnasium und war zum Zeitpunkt unserer Zusammenarbeit ans ISB abgeordnet. Uta Englisch wurde in der Zusammenarbeit mit den Referendar:innen deutlich, dass es um einer Überforderung vorzubeugen eine Art Handlungsanleitung, eine Schritte-Plan zum Umgang mit auffallenden Schüler:innen braucht. Und dieses 6 Schritte/ Strategien haben nicht nur in ihrem Seminar, sondern auch darüber hinaus in vielen Kursen der 1. und 3. Phase der Lehrerbildung (also an der Uni und bei Fortbildungen) Anklang gefunden und gut funktioniert.
Beobachten
Hier geht es darum, eine:n Schüler:in, die aufällig scheint oder mit Diagnose "geliefert" wurde, zu beobachten und sich zu informieren
Gespräche führen
In einem nächsten Schritt werden Gespräche geführt - z.B. mit der oder dem Betroffenen, aber auch mit Eltern, Kolleg:innen, weiteren Schüler:innen.
Trotzdem unterrichten
An dieser Stelle ist es wichtig, den Rest der Klasse durch den engen Fokus nicht aus den Augen zu verlieren, sondern möglichst inklusiv zu unterrichten.
Hilfe aktivieren
Es gibt sehr viele Stellen, bei denen sich Lehrkräfte, Eltern oder Betroffene Hilfe holfen können. In diesem Schritt geht es darum, solche Stellen zu identifizieren und sie anzusprechen bzw. an sie weiterzuvermitteln
Planvoll fördern
Nicht nur Förderschullehrkräfte können einen Plan aufstellen, um Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedarfen sinnvoll zu fördern. Ein guter Förderplan entlastet alle Beteiligten von Anfang an.
Bewerten und Nachsteuern
Es genügt nicht, sich einmal Gedanken gemacht zu haben. Zentral ist, immer wieder zu reflektieren und ggf. nachzusteuern.
Diese Core Pracitces sind als "sechs Schritte zum Umgang mit auffallenden Schüler:innen" im Praxisleitfaden auffällige Schüler und Schülerinnen beschrieben

7 Kernpraktiken, um im Rahmen des Classroom Managements auf akute kritische Situationen zu reagieren
Die Kernpratiktiken zum Umgang auf kritische Situationen in Lehr-Lernkontexten entstammen meiner Forschung in Zusammenarbeit mit Marie Weirather und sind noch unveröffentlicht. Mit den jeweils vorläufigen Forschungsergebenissen sind jedoch national und international diverse Präsenzangebote, Blended-Learning und Online-Angebote erstellt worden. Unter anderem habe ich dabei mit verschiedenen Universitäten, dem ISB Bayern, Jesuit Worldwide Learning - Higher Education at the Margins und dem Verein Impro macht Schule kooperiert.
Umlenken
Sortieren
Gewähren
Helfen
Verhandeln
Verlangen
Durchsetzen

„Den Reflexionsbogen finde ich unbeschreiblich hilfreich für mein späteres Leben und sollte mein Traumberuf einmal in Erfüllung gehen, weiß ich schon, was sich in der Schublade meines Lehrerpults befinden wird. Ich finden den Bogen deshalb so wichtig, weil er die einzelnen Reaktionsmöglichkeiten übersichtlich und gut überschaubar wiedergibt und man solchen auch sonst nirgendwo (z. B. im Internet) finden kann.“
Student, Sommersemster 2023
"Der Reaktionsbogen hat mir gezeigt, dass es nicht nur eine „richtige“ Reaktion auf Unterrichtsstörungen gibt, sondern mehrere Möglichkeiten, die je nach Situation flexibel eingesetzt werden können. Besonders hilfreich finde ich, dass der Bogen keine starren Vorschriften macht, sondern Handlungsspielräume eröffnet. [...] Ich habe erkannt, dass ich nicht sofort „die perfekte Lösung“ haben muss – vielmehr ist es entscheidend, die Situation richtig einzuschätzen und eine passende Reaktion zu wählen."
Studentin Sommersemester 2025
"Falls mein erster intuitiver Weg, um eine kritische Situation zu bewältigen, nicht lösungsbringend und wirkungsvoll ist, kann ich dank dem Reaktionsbogen schneller alternative Ansätze finden [...]. Einer der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Seminar ist für mich, dass es ok ist Fehler zu machen und man oft nur so weiterkommt und daraus lernt. Ein entspannter Umgang mit Fehlern ist hilfreich im Lehrerberuf. Besonders in stressigen oder schwierigen Momenten ist es normal, nicht immer sofort die richtige Lösung parat zu haben. Statt sich unter Druck zu setzen habe ich gelernt, dass es besser ist, ruhig zu bleiben und flexibel zu reagieren. Durch das Seminar sehe ich Fehler nun auch mehr als Chance und als Teil des Lernens."
Studentin, Sommersemester 2025
5 Kernpraktiken, um im Rahmen des Classroom-Managements Beziehungen zu gestalten
Nicht nur, aber vor allem für das Classroom-Management ist eine positive Beziehungsgestaltung im Klassenzimmer relevant. In meiner Dissertation habe ich fünf Faktoren gefunden, die einen Einfluss auf die Beziehung nehmen. Deren Funktion ist dabei ambivalent: Sie zeigen einerseits eine bestimmte Beziehungsqualität an, sind aber auch in der Lage, die Beziehungsqualität zu verändern. Die Ganztagsabteilung des ISB hat mich vielfach eingeladen, um Lehrkräften diese fünf Strategien nahezubringen (3. Phase der Lehrerbildung und Fortbildung von weiterem pädagogischen Personal), da gerade im Ganztag für alle Beteiligten positive Beziehungen wichtig sind. Die fünf Kernpraktiken lauten:

Sie können das Kapitel, in dem die fünf Kernpraktiken beschrieben werden, hier herunterladen:
Dissertation Meyer Kapitel Beziehung
Hier finden Sie außerdem einen Power-Point-Vortrag, in welchem die fünf Praktiken aufgegriffen und kontextualisiert wurden:
4 Kernpraktiken für Bildung für nachhaltige Entwicklung
Als Conclusio meiner Forschung zu nachhaltigem Handeln bzw. dem Überbrücken der Inner-Outer-Gap schlage ich vier Kernpraktiken für die Bildung für nachhaltige Entwicklung vor. Diese sind in unserem Buch "Kann Bildung die Welt verändern? Impulse für transformative Bildung und BNE" grafisch wunderbar aufbereitet worden:
